Montag, 6. Dezember 2010

"Let me entertain you!"

Trotz aller Technikliebe bin ich eine Tragetuchmama. Ein Tragetuch ist das Erste was ich mir in der Schwangerschaft beklickt habe, noch bevor Kinderzimmer, Babyklamotten und Kinderwagen beklickt wurden. Umso tragischer ist es, dass der Baron so überhaupt kein Tragetuchbaby ist. Und sowieso mit Schutz und all dem Baby-Festhalte-Kram nicht viel am Hut haben will. Er hat mir schon in der ersten Woche gezeigt, dass er nicht behütet werden möchte, sondern unabhängig sein Ding durchziehen will. "Ich bin nicht auf die Welt gekommen um hier getätschelt zu werden, Mama!"
Ich brauchte nicht mit einer Pukdecke herkommen, keine Hand beim Einschlafen auf dem Kopf, um das Leben im Bauch noch ein bisschen wiederzubringen und bitte ja nicht im Tragetuch herumtragen. Er könne da ja gar nicht genug sehen und ausserdem hatte er das lange genug. Wohlgemerkt gab es schon ab der 4ten Woche Proteste diesbezüglich.
Dabei hatte ich ein extra großes Exemplar an Tragetuch bestellt (sicher so an die 10m) :) damit der Ehemann auch in den Genuss des Säuglingsschleppens kommt. Immerhin war ich fasst 10 Monate mit Tragen dran.
Aber weder der Ehemann noch ich konnten den Baron davon überzeugen, dass das eine sinnvolle und angenehme Sache ist. Stundenlang schlenderte ich mit ihm durch den Wald, in der Hoffnung, er würde Gefallen daran finden. Auch während der Sommerhitze mit gefühlten 100°C hab ich mich mit dem Säugling auf den Weg gemacht, schwitzenderweise stundenlang durch die Gegend geirrt. Aber nichts, nichts konnte den Baron davon überzeugen, dass das eine tolle Sache ist. Er brüllte wie am Spieß, als ich das Tuch hervorholte und schlief nur darin ein, weil er erschöpft vom Protestieren war.
Stattdessen lag er bevorzugt tagelang im Kinderwagen auf der Terrasse und bestaunte die blau-weiße Markise über ihn. "Das ist Entertainment, Mama! Da kommst du einfach nicht mit."
Das Tragetuch wurde allerdings nicht ganz beiseite gelegt. Denn eines Tages kam der Ehemann von einem Spaziergang mit dem Baron nach Hause. Dieser wollte partout nicht im Kinderwagen liegen. Die Phase "Ich MUSS ALLES sehen und will dabei die Hände frei haben" begann. Das Tragetuch sicherheitshalber dabei, wickelte sich der Ehemann die 10m so um den Körper, dass er den Baron vorne in einer Schlinge draufsetzte. Der Baron konnte gemütlich drauf sitzen und schauen (rückenschonend) und der Ehemann musste nicht die ganzen 6-7kg Kind tragen. "Das ist Entertainment, Mama!"
Ok, wenn es hier ums Entertainen geht, dann kann ich auch anders. Ein Sling-Tuch wurde bestellt. Nichts mehr mit fünf mal um den Körper wickeln, kein Nachziehen mehr, kein langweiliges Schauen mehr auf Mamas Hals. Der Baron kommt mit den Sling-Tuch auf die Seite geschnallt. Hände frei, Sicht frei! Juhu, endlich!
Problem: Das mit dem spontanen Einnicken funktioniert nicht mehr so gut. Er muss sich selber halten und wackelt mit dem Kopf wieder und wieder an der Jacke vorbei. Für lange Spaziergänge also auch nichts. Blöd!
Einsatz also im Haushalt. Wenn ich ihn schon mit dem Sling-Tuch trage, dann bitte auch mit Action. Nicht pauschal durch die Wohnung gehen und nichts passiert. Protest ist dann vorprogrammiert. "Entainment, Mama!"

Der Spass versiegte, als letzte Woche der Baron den dritten Schnupfen hintereinander bekam und das Zahnen parallel mit dabei war. Die Nase war nicht mehr frei zu bekommen. Phasenweise war er richtig angesäuert, weils ihm auf den Keks ging. Verständlich!
Und so kam es, dass Schnupfen und Zahnen an einem Tag der letzten Woche einen Höhepunkt erreichten. Der Baron war im Liegen nicht mehr zur Ruhe zu bringen. Kein Essen, kein Schlafen, kein gar nichts. Tragen konnte ich den 9kg Jungen nicht lange. Ein Teufelskreis.
Ich holte das Tragetuch heraus. Wickelte ihn in guter alter Trageweise an meinen Körper und gab ihm das, was er anscheinend brauchte. Nähe, Geborgenheit und natürlich die Senkrechte, die seine Nase einigermßen frei hielt. Er hörte auf zu schreien, hielt mich mit seinen Ärmchen fest und schlief selig im Tragetuch ein. Was für ein Bild.


Auch wenn es ihm an diesem Tag schlecht ging, wie wohl nie zuvor, ich hab mich richtig gut gefühlt. Mein kleiner Sohn nimmt endlich meine wohlige Wärme und Geborgenheit in Anspruch. Ich konnte ihm Trost geben und ihn einfach nur Halten.
Puh! Ich dachte, das passiert gar nicht mehr! Alles richtig gemacht.
Zwei Stunden bin ich mit ihm durch die Wohnung getingelt. Er sabbernd und schniefenderweise immer dabei. Abends ging es ihm wesentlich besser und ich freute mich, meinen Teil beigetragen zu haben. Das Tragetuch bleibt also in der Nähe, denn ich weiss jetzt, wann er es braucht.

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